Palliative Care befindet sich in einem kontinuierlichen Wandel und rückt immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Dennoch besteht weiterhin die Notwendigkeit, Lücken zu schliessen und innovative Ansätze zu entwickeln. Im Gespräch mit Corina Caduff, Eva Soom Ammann und Francis Müller beleuchten wir nicht nur die aktuellen Herausforderungen und Chancen in diesem Bereich, sondern werfen auch einen Blick auf die Zukunft des Sterbens.
Interview I Emilie Casale, Romaine Farquet
Ihr Projekt trägt den Namen «Sterbesettings». Was ist unter dem Titel zu verstehen?
Sterben findet in sozialen, kulturellen und räumlichen Kontexten statt. Unter «Sterbesettings» verstehen wir dasjenige institutionelle Umfeld, in dem unheilbar Kranke ihre letzte Lebensphase verbringen und sie gemeinsam mit Freund·innen, Angehörigen und dem Gesundheitsfachpersonal gestalten. Ein solches Setting umfasst sowohl materielle Aspekte wie beispielsweise Räume, Pflegeprodukte oder persönliche Gegenstände, als auch immaterielle Aspekte wie Vorstellungen, Sprache, Interaktionen und soziales Handeln.
«Sterbesettings» setzt sich mit der Palliative Care, der Behandlung von Menschen am Lebensende, auseinander. Das Feld wandelt sich und wird zunehmend professioneller. Was sind Herausforderungen, die mit der Palliative Care und deren Professionalisierung einhergehen?
Aus einer sozial- und geisteswissenschaftlichen Perspektive ist zu beobachten, dass die Palliative Care, die ursprünglich ein Gegenentwurf zur hochpotenten kurativen Medizin war, auf dem Weg zurück in die Institutionen der Gesundheitsversorgung viel Akzeptanz erfährt. Aber es gibt auch Reibungen wie etwa die breit thematisierte und nach wie vor ungelöste Frage der Finanzierung palliativer Begleitung am Lebensende, oder wie das ‘Nichtstun’: Welche Gestaltungsräume gibt es, wenn im kurativ-medizinischen Sinne nichts mehr getan werden kann? Diese Herausforderung haben wir in unseren Publikationen beschrieben.
Welche Design-Interventionen und Pflegeartikel wurden im Rahmen von «Sterbesettings» entwickelt? Gibt es bereits erste Rückmeldungen dazu?
Die Produktdesignerin Bitten Stetter, die beim Praxispartner designethnografische Feldforschungen durchführte, hat aufgrund ihrer Beobachtungen neue Produkte gestaltet, etwa eine Bettbox, die sich am Pflegebett anbringen lässt und in der die Patient·innen ihre wichtigsten persönlichen Dinge – eine Brille, das Handy, Erinnerungsobjekte – körpernah aufbewahren können. Zudem hat sie gemeinsam mit der 2023 verstorbenen Schweizer Schriftstellerin Ruth Schweikert eine Grusskartenserie entworfen: Schweikert hat Gruss-Sätze von und an Sterbende verfasst, eine wichtige sprachliche Ergänzung zu bisherigen Sets von «Gute Besserung»-Karten.
Im Frühling 2024 ist Ihr Buch «Sterben gestalten» erschienen. Darin werden unter anderem Zukunftsvisionen des Sterbens betrachtet. Wie schauen diese aus? Und welche Herausforderungen sehen Sie auf die Palliative Care zukommen? Inwiefern können Forschungsprojekte dazu beitragen, diesen Herausforderungen zu begegnen?
Der Trend zu sogenannten «naturgestimmten Räumen», bekannt als «biophilic Design», setzt auf Wellnessoasen, die eine Verbindung zur Natur schaffen. Diese Orte, wie das Care Retreat bei Oslo oder das Art of Living Retreat Center in North Carolina, bieten eine Umgebung, die bewusst technologiearm gestaltet ist. Hier wird der natürliche Rückzugsort zum Luxus, und das Sterben kann durchaus einen hohen Preis haben. Der Fokus liegt darauf, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sichtbare Technik völlig in den Hintergrund rückt. Gleichzeitig gibt es andere Ansätze, die einen ganz anderen Weg einschlagen: Sie setzen bewusst auf eine digitale Ästhetik. Auch im virtuellen Raum wird mittlerweile intensiv daran gearbeitet, digitale Produktdesigns zu entwickeln, die speziell für die End-of-Life-Care konzipiert sind.
In unserem Forschungsprojekt hat die Kommunikationsdesignerin Tina Braun genau diese Spannungsfelder aufgegriffen. Sie hat bestehende Bildwelten der Palliative Care analysiert und alternative Entwürfe für Broschüren und Webseiten entwickelt. Sie hat zum Beispiel ein fiktives Magazin zum Lebensende und ein Rebranding einer Pallative-Care-Abteilung gestaltet, wobei sie die Wirkungsweisen getestet hat. Ihre Arbeiten zeigen eindrucksvoll, wie sich ein neuer, weniger stereotypisierter visueller Zugang zur Sterbebegleitung und zur Palliative Care gestalten lässt.
Caduff, Corina et al. (Hg.) (2024): Sterben gestalten. Möglichkeitsräume am Lebensende, Zürich.
Swissfuture Magazin für Zukunftsmonitoring (2021/02): Die Zukunft des Sterbens, Luzern.
Caduff, Corina (2022): Sterben und Tod öffentlich gestalten. Neue Praktiken und Diskurse in den Künsten der Gegenwart, München.
https://doi.org/10.30965/9783846766668
Metzger, Gaudenz U. und Tina Braun (2023): Imaginaries of Dying: The Visual Rhetoric of Stock Images Tagged with “Palliative Care”, in: OMEGA - Journal of Death and Dying 0,0, S. 1-17.
https://doi.org/10.1177/00302228231184296
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